Die Petition
Als das Team SIGNforMECFS - eine kleine Gruppe von selbst an ME/CFS Erkrankten - sich im Herbst 2020 dazu entschloss, eine Petition zum Thema Medizinische Versorgung und Situation von ME/CFS-Erkrankten beim Deutschen Bundestag einzureichen, bestand zwar eine gewisse Hoffnung 50.000 Zeichnungen zu bekommen, aber niemand hatte geglaubt, dass man dieses Quorum sensationell mit nahezu der doppelten Zahl an Unterschriften überflügeln würde.
Insgesamt erhielt die Petition innerhalb der vierwöchigen Frist genau 97.210 Mitzeichnungen.
Damit ist sie die bisher erfolgreichste Petition auf dem Feld der Krankheitsbekämpfung und ein Meilenstein für die weitere Anerkennung von ME/CFS.
Die Kampagne zur Zeichnung wurde unterstützt von Patientenorganisationen, Selbsthilfegruppen, Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen sowie von Politiker*innen aus der Bundes- und Landespolitik. Es war insbesondere die attraktive Gestaltung und das exzellente Management des SIGNforMECFS-Teams gepaart mit dem überwältigenden Einsatz vieler Betroffenen, ihrer Angehörigen und Freunde unter Aufbietung aller verfügbaren Kräfte und Ressourcen, die viele Menschen auch außerhalb der Echokammern der ME/CFS-Gemeinschaft erreichte und motivierte, sich für die Petition zu engagieren. Ebenso wichtig für den herausragenden Erfolg waren die vielen Prominenten, die die Petition unterstützten - gefolgt von ihren Anhängern und Followern.
Die gemeinsamen Anstrengungen aller mündeten in der letzten Woche der vierwöchigen Zeichnungsfrist in eine spektakuläre Schlussralley mit exponentiellem Anstieg der Zeichnungskurve, sodass alleine die online-Unterschriften das Quorum überschritten und am Ende fast 100.000 Menschen die Petition unterzeichneten.
Die Anhörung
Das Erreichen des Quorums ermöglichte die öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestags, die am 14.02.2022 stattfand.
Daniel Loy, der die vier Petent*innen vertrat, sprach unmissverständlich die katastrophale Versorgung der ME/CFS-Erkrankten aus: „Ich hätte nicht geglaubt, dass es eine Krankheit gibt, die so gravierend ist, dass man am schweren Ende des Spektrums nicht nur dauerhaft bettlägerig, sondern auf künstliche Ernährung angewiesen (und) zu Kommunikation nicht mehr in der Lage ist und selbst geringste Sinnesreize wie Licht oder Berührungen nicht mehr ertragen werden können.“
Mit ihrer Petition wollen die Betroffenen auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machen und fordern die Bundesregierung unter anderem dazu auf, eine Aufklärungskampagne bei Ärzt*innen und in der Öffentlichkeit zu starten sowie in Forschung zu Medikamenten und Therapieansätzen zu investieren.
Daniel Loy forderte insbesondere eine Ergänzung des §116b SGB V, damit ME/CFS in das Programm der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) aufgenommen wird. Außerdem forderte er von der Bundesregierung die Benennung eines Beauftragten im Ministerium oder die Schaffung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe, damit für die Erkrankten und ihren Patientenorganisationen in Zukunft ein zuverlässiger Ansprechpartner bezüglich der Implementierung und Weiterentwicklung der unterschiedlichen Maßnahmen zur Verfügung steht.
Als Fachexpertin nahm die langjährige Leiterin des Charité Fatigue Centrums Berlin, Frau Prof. Carmen Scheibenbogen, an der Ausschusssitzung teil. Sie bestätigte den schlechten Kenntnisstand bei den Ärzten und wies auf den erheblichen Nachholbedarf bei der Forschung zu ME/CFS hin:
„Wir wissen heute in etwa so viel wie bei anderen Erkrankungen (ähnlicher Schwere und Häufigkeit) vor circa 30 Jahren.“ Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angekündigten Fördergelder sind nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.
Prof. Carmen Scheibenbogen forderte einen „Runden Tisch“ unter Führung der Politik, damit Versorgungsstrukturen aufgebaut und klinische Studien durchgeführt werden können. Ebenso forderte sie die Einbeziehung der Pharmaindustrie zur Erforschung wirksamer Medikamente. Ausdrücklich unterstützte sie die Forderung nach einer Ergänzung des § 116b SGB V für ME/CFS.
Die Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums, die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar (SPD), erkannte den Handlungsbedarf an: „Die Bundesregierung weiß, und auch ich persönlich weiß sehr wohl, mit welchen Einschränkungen und Belastungen Sie sich tagtäglich auseinanderzusetzen haben. Und deswegen bin ich auch sehr dankbar, dass es gelungen ist, als Regierungsauftrag in den Koalitionsverhandlungen zu vereinbaren, hier entsprechend mehr für die Erforschung und auch Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung, sowohl der Langzeitfolgen von COVID-19, wo wir wirklich einen Zusammenhang mit der Myalgischen Enzephalopathie [sic] und dem Chronischen Fatigue-Syndrom sehen, und hier deutschlandweit ein Netzwerk von Kompetenzzentren und auch interdisziplinären Ambulanzen zu schaffen.“
Leider ergaben die weiteren Aussagen von Frau Dittmar den Eindruck, als wären ihr die volle Tragweite und das ganze Ausmaß des Problems nicht bekannt. In Folge kann sie keine Maßnahmen formulieren, die dem Problem Abhilfe schaffen. Eine ausführliche Analyse zu Frau Dittmars Worten hat das Team SIGNforMECFS in seiner Stellungnahme zu den Einlassungen der Bundesregierung veröffentlicht.
Ein Beschluss über die Petition wurde am Montag nicht gefasst. Wir haben dennoch allen Grund, optimistisch zu sein. Aufgrund der Ähnlichkeiten mit Long Covid rückt die Erkrankung zunehmend in die Öffentlichkeit. Auch in den einzelnen Bundesländern bekommt das Thema ME/CFS zunehmend Aufmerksamkeit. So hat die FDP im Thüringer Landtag am 7. Februar 2022 einen Antrag zur besseren Versorgung, Erforschung und Aufklärung für ME/CFS eingereicht. Dieses Konzept wurde bereits von verschiedenen Patientenorganisationen sehr positiv bewertet1 und auch von der Expertin Prof. Carmen Scheibenbogen als Beispiel gebend empfohlen. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS hat eine Übersicht zu diesem Antrag vorgelegt.
Der Petitionsausschuss wird nun Stellungnahmen einholen und in einer weiteren Sitzung abstimmen und eine Empfehlung an den Bundestag verabschieden. Dazu wird der Bundestag dann einen Beschluss fassen.
Auf Social Media können Neuigkeiten rund um die Petition über das Hashtag #SIGNforMECFS verfolgt werden, zudem informiert das Petitionsteam ihrer Website unter „Aktuelles“.
Video-Ausschnitte aus der Anhörung
Die Vollständige Anhörung können Sie hier ansehen.
Hinweis: Ein Transkript der Anhörung hat die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS hier veröffentlicht.
Daniel Loy: Eingangsrede
Carmen Scheibenbogen: Grundlegende Schilderung der Lage
Carmen Scheibenbogen über das Thüringer Konzept
Daniel Loy schildert anhand seiner persönlichen Erfahrung die Stigmatisierung der Erkrankten
Carmen Scheibenbogen zu Dunkelziffer und Sorgerechtsentzug
Daniel Loy fordert dauerhafte politische Unterstützung durch den Bundestag
Carmen Scheibenbogen: "Die Realität sieht so aus, dass die Patient*innen oft gar keine Pflege bekommen."
Carmen Scheibenbogen über schädliche Therapien und Sorgerechtsentzug
Carmen Scheibenbogen: "Es gibt in Deutschland weder Experten in größerem Ausmaß, noch eine Fachgesellschaft die sich für ME/CFS verantwortlich fühlt"
"Es muss von Herr Lauterbach mal gesagt werden: Das ist ein riesen Problem [...]"
Carmen Scheibenbogen spricht sich für die Aufnahme von ME/CFS in §116b SGB V aus
Carmen Scheibenbogen: "Man könnte Medikamentenstudien relativ schnell anstoßen"
Daniel Loy: Abschlussrede
- Antrag im Thüringer Landtag: „Das stille Leiden an ME/CFS beenden“, Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. ↩