Eine neue Studie von Lotte Habermann-Horstmeier und Lukas M. Horstmeier, veröffentlicht am 29.08.23,1
hat die Arzt-Patienten-Beziehung (AP-Beziehung) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, wie entwürdigend eine Vielzahl von Ärzt:innen mit ME/CFS-Patient*innen umgehen.
Die Zusammenfassung und Schlussfolgerung der Studie sind in wissenschaftlich nüchternem Ton gehalten. Im Volltext sind jedoch zahlreiche Zitate der Patient:innen enthalten, die ein eindrucksvolles Bild ergeben.
Die Proband:innen nannten als einen zentralen Faktor einer problematischen AP-Beziehung bei ME/CFS das geringschätzende, als unangenehm empfundene Auftreten und Verhalten der behandelnden Ärzt:innen. Sie berichteten von fehlender Empathie, Sensibilität und Sozialkompetenz. Viele hatten das Gefühl, von den Ärzt:innen nicht ernstgenommen und als „schwierige Patient:innen“ eingeordnet zu werden. Weder würden ihre interaktionellen Grundbedürfnisse berücksichtigt, noch gebe es eine Beziehung auf Augenhöhe. Zudem sei eine Abwehrhaltung den Patient:innen gegenüber spürbar. Darunter leide die AP-Beziehung.
[...] Die Studienergebnisse zeigen, welche große Bedeutung ein gutes AP-Verhältnis für die Patient:innen und ihre gesundheitliche Situation hat. Daher sollten Schulungen zu ME/CFS insbesondere auch auf die interaktionellen Grundbedürfnisse von Patient:innen und Ärzt:innen eingehen.
Ausgewählte Zitate von Patient:innen
„Mich stört, dass […] ganz selten mal überhaupt Interesse an der Erkrankung von Ärzten gezeigt wird, die diese noch nicht kennen. Noch nie hat eine Ärztin Infomaterial durchgelesen oder mich überhaupt zum Verlauf gefragt oder irgendwie Interesse signalisiert.“
„Ich wurde schallend ausgelacht. Das mitgebrachte Informationsmaterial wurde mir entgegengeworfen.“
„Stellen Sie sich vor, Sie sagen zu einem Arzt, sie hätten MS und dieser Arzt sagt, dass ihn das nicht interessiere. Ist mir so mit ME/CFS oft passiert. Man unterstellt, ich lüge oder übertreibe meine Symptome. […] Wenn man Symptome nennt, werden von Ärzten, Krankenschwestern und med. Personal die Augen verdreht, gelacht, getuschelt und/oder es wird direkt gesagt, man lüge.“
„Am meisten stört mich die unglaubliche Arroganz der meisten Ärzte, die denken, heute wären alle Erkrankungen bereits bekannt und behandelbar und daher können sie innerhalb von 30 s ohne psychiatrische Qualifikationen [erkennen], dass eine Erkrankung psychisch sein muss, weil es [sonst] nicht in ihr Schubladendenken passt.“
„Die Anamnese ist nicht auf meine Erkrankung bezogen und stellt eine enorme körperliche Belastung dar. Es wird nicht auf meine Symptome eingegangen.“
„Mir wurde vielfach mitgeteilt, dass mein Verhalten Auslöser und aufrechterhaltender Faktor der Erkrankung ist (Dekonditionierung). ‚Pacing‘ wird als Faulheit und Angst vor Aktivität missverstanden. Infomaterial von Patientenorganisationen oder Charité wird nur widerwillig entgegengenommen und nicht beachtet. Bestehende Beschwerden (z. B. POTS) werden nicht ernst genommen. Es besteht keinerlei Interesse an Therapieversuchen zur symptomorientierten Behandlung, z. B. nach Empfehlungen der Charité. Die Ablehnung von Sport oder Aktivierung wird als mangelnde Compliance verstanden. Die verzögerte Verschlechterung nach Überlastung wird ignoriert und mir Symptomfixierung unterstellt.“
„Die Schwere der Symptome wird teilweise völlig verkannt. Man bekommt oft zu hören: Aber Sie sitzen ja jetzt hier und haben es ja auch gut geschafft. Es wird oftmals nicht gesehen, welche starke Belastung ein Arztbesuch für den gesamten Organismus ist. Die einsetzende postexertionale Malaise bekommen die Ärzte nicht zu Gesicht. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass man sich von einem Arztbesuch teilweise mehrere Wochen erholen muss, bis eine Zustandsverbesserung eintritt.“
„Fehlende Rücksichtnahme (lautes Sprechen, Hektik, über das Notwendige hinaus helle Beleuchtung usw.).“
„Selbst nach der Diagnose wurde vor allem in Kliniken ME/CFS als Erkrankung abgelehnt und teilweise als unwissenschaftlich bezeichnet. Obwohl die Diagnose sehr ausführlich und nach den Kriterien der Charité erfolgte.“
„Gemachte Erfahrungen werden von Ärzten missachtet, Diagnoserichtlinien werden missachtet und Falschbehandlungen empfohlen.“
„Ein Arzt meinte: ‚Können Sie denn nicht von sich selbst absehen?‘ Ich war baff. Ich gehe doch nicht zum Arzt, um mit ihm zu plaudern, sondern um Hilfe von ihm zu bekommen. Ich hatte schon fast das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen dafür, dass ich dem Arzt die Zeit stehle.“
Und selbst "positive" Zitate lassen tief blicken:
„Zu meinem behandelnden Arzt habe ich ein sehr gutes Arzt-Patient-Verhältnis. Er ist der Einzige, der sich mit ME/CFS auskennt und [mich] ernstnimmt.“
Habermann-Horstmeier L, Horstmeier LM (2023): Die ärztliche Wahrnehmung von ME/CFS-Erkrankten (myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom) als „schwierige Patienten“, Prävention und Gesundheitsförderung DOI: 10.1007/s11553-023-01070-3.
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In Absprache mit Dr. Sabine Schütz veröffentlichen wir ihren unveröffentlichten Leserbrief v. 21.10.2022 an die Badische Zeitung zu dem Artikel "Chronisch müde und unkonzentriert"1 und ihr Rundschreiben an die Autorinnen und Autoren der EPILOC-Studie vom 07.11. und 07.12.2022.
EPILOC-Studie bestätigt hohe Prävalenz von Long COVID und ME/CFS-Symptomen nach Coronainfektion
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Es gibt erste erfolgreiche Heilversuche mit dem Wirkstoffkandidat BC 007 der Berlin Cures GmbH. Der Stoff wird über eine Infusion verabreicht und neutralisiert dann im Körper die funktionellen Autoantikörper. Das sind Antikörper, die sich gegen den eigenen Körper (in diesem Fall G-Protein-gekoppelte Rezeptoren) richten.